19.04.2021 –, Bühne
Sprache: Deutsch
Das Recht auf Selbstbestimmung und das Recht auf Bildung sind fundamentale Menschenrechte. So steht es seit 1948 in der Menschenrechtserklärung der Vereinten Nationen sowie in den darauffolgenden Erklärungen, die das Recht auf Selbstbestimmung und auf Bildung für benachteiligte Gruppen besonders hervorheben.
Dass die Menschenrechtserklärungen der Vereinten Nationen neben dem Recht auf Selbstbestimmung und Bildung auch eine Pflicht zur (inklusionsorientierten) Menschenrechtsbildung für die ganze Gesellschaft und für alle Altersgruppen enthalten, das wissen die wenigsten Menschen. Die meisten denken beim Thema Menschenrechte an die UN-Behindertenrechtskonvention – kurz UN-BRK, zu deren Einhaltung sich Deutschland 2009 verpflichtet hat. Weniger bekannt aber ist die Erklärung der Vereinten Nationen über Menschenrechtsbildung und -training aus dem Jahr 2011, die auch Deutschland unterschrieben hat. Diese Erklärung beschreibt und fordert das Recht auf den Zugang zu Menschenrechtsbildung und die Pflicht zur Förderung und Bereitstellung von Menschenrechtsbildung.
Menschenrechtsbildung gemäß der UN-Erklärung beinhaltet drei Aspekte:
Bildung über Menschenrechte als das Wissen über Menschenrechte und die Kenntnis der entsprechenden UN-Menschenrechtserklärungen,
Bildung durch Menschenrechte als ein ‚Sich-bewusst-werden‘ über die Bedeutung der eignen Menschenrechte im Alltag, im Stadtteil und den eigenen Beitrag, den jede und jeder täglich leisten kann, um die Menschenrechte für alle lebendig erfahrbar zu machen,
schließlich Bildung für Menschenrechte als Befähigung, sich für die eigenen und für die Rechte anderer aktiv einzusetzen.
Menschenrechtsbildung bezieht sich folgerichtig auch auf Bildung über, durch und für die Rechte von Menschen mit Beeinträchtigungen. Die UN-BRK formuliert drei wichtige Ziele: Die Würde und der Wert von Menschen mit sogenannten Behinderungen ist anzuerkennen. Gemeint ist aber nicht nur eine Absicht oder eine Haltung, vielmehr geht es um eine Gesellschaft, in der sich Menschen mit sogenannten Behinderungen ganz selbstverständlich anerkannt und gewürdigt fühlen. Zum anderen geht es um die Realisierung eines verstärkten Zugehörigkeitsgefühls in einer Gesellschaft, die Menschen mit sogenannten Behinderungen in das allgemeine gesellschaftliche Leben so selbstverständlich aufnimmt, dass sich alle Menschen zugehörig fühlen können. Dafür muss die Gesellschaft entsprechend gestaltet sein und Produkte, Gegenstände und Informationen so angeboten werden, dass sie für alle Menschen gleichermaßen handhabbar sind. Auf dem Hintergrund der Menschenrechte ist nämlich das Anderssein aufgrund einer besonderen körperlichen, seelischen oder geistigen Verfasstheit kein medizinisch oder karitativ-fürsorgerisch zu bearbeitendes Problem und keine individuelle Eigenschaft von Menschen, sondern eine Behinderung der gesellschaftlichen Teilhabe. So richtet das menschenrechtliche Verständnis von Behinderung den Blick auf die äußeren und gesellschaftlichen Bedingungen, die für die Diskriminierung und Aussonderung von Menschen mit Behinderungen verantwortlich sind. Dieses Verständnis basiert auf der Erkenntnis, „dass die desolate Lage behinderter Menschen weniger mit individuellen Beeinträchtigungen als vielmehr mit gesellschaftlichen Entrechtungen [..] beeinträchtigter Menschen zu erklären“ (Degener 2009, S. 200)
Behinderung hängt demnach mit Prozessen von Anerkennung und Missachtung und mit kollektiven Vorstellungen von Normalität zusammen, die auch unser Verständnis von Selbstbestimmung, von Bildung und auch von Sexualität prägen und die die Ausübung elementarer Menschenrechte behindern. Auch Menschen mit sogenannten geistigen Behinderungen haben beispielsweise ganz selbstverständlich ein Recht auf Sexualität, auf eigene Kinder und niemand darf sie daran hindern, eine Ehe einzugehen. Der Vortrag geht diesem Problem mit Beispielen und Denkanstößen zu den Themen Behinderung, Partnerschaft und Sexualität nach.
Literatur:
DEGENER, Theresia, 2009. Die UN-Behindertenrechtskonvention als Inklusionsmotor. Recht der Jugend und des Bildungswesens [Online-Quelle]. 57(2), 200-219 [Zugriff am 09.02.2021]. Verfügbar unter: https://www.studentenwerke.de/sites/default/files/un_behindertenrechtskonvention_degener2.pdf
Professorin Dr. Simone Danz Inklusive Pädagogik und Heilpädagogik
Evangelische Hochschule Ludwigsburg - Protestant University of Applied Sciences
mit Gebärdensprach - Dolmetscherin
Ich bin fast 60 Jahre alt und lebe seit vielen Jahren in Frankfurt am Main. In meiner beruflichen Biografie habe ich viele verschiedene Stationen durchlaufen. So war ich als Gärtnerin im Gemüsebau, als Arbeitserzieherin und schließlich als promovierte Erziehungswissenschaftlerin tätig. Seit 2016 bin ich Professorin für Inklusive Pädagogik und Heilpädagogik an der Ev. Hochschule in Ludwigsburg. Meine Arbeits- und Forschungsschwerpunkte sind orientiert am gesellschaftlichen Auftrag zur Menschenrechtsbildung und befassen sich mit kollektiven Vorstellungen von Normalität. Mit dem Blick als Inklusionsforscherin interessieren mich auch Fragen nach der Anerkennung von Abhängigkeit, Unvollständigkeit und Hilfebedürftigkeit.