Ich sehe was, was Du nicht siehst – die Bewertung der Usability freier Web-GIS am Beispiel einer Eyetracking-Studie zum IÖR-Monitor
13.03.2019 , Physik Z254

Die Usability frei zugänglicher Web-GIS variiert derzeit stark. In einer Usability-Studie wurden Usability-Probleme und Verbesserungspotenziale freier Web-GIS am Beispiel des IÖR-Monitors im Spannungsfeld zwischen subjektiven Nutzerbewertungen und objektiv gemessenen Eyetrackingdaten ermittelt. Die so entstandene Sammlung von Problemen und Lösungsvorschlägen kann während der Entwicklung oder Überarbeitung von Web-GIS oder zugrundeliegender APIs zur Verbesserung der Usability genutzt werden.


Obwohl die Bedeutung der Usability in der Geoinformatik bereits bekannt ist, finden sich immer noch GIS mit vielen oder großen Usability-Problemen im Web. Eine gute Usability wird oft als Diskrepanz zu angebotenen Expertenfunktionalitäten betrachtet. Experten sollten sich in die Nutzung des GIS einarbeiten, um damit Schwächen in der Usability auszugleichen. Die Anforderungen an die Usability frei zugänglicher WebGIS erhöhen sich mit der Vielzahl und Verschiedenartigkeit der Nutzer dieser Anwendungen, wie beispielsweise GIS-Experten oder politische Entscheider.
In einer von den Autoren konzipierten und durchgeführten Usability-Studie sollten Usability-Probleme und Verbesserungspotenziale freier WebGIS am Beispiel des IÖR-Monitors ermittelt werden. Ziele der Studie waren:

1) Die Nutzung und Usability-Anforderungen sowie resultierende Probleme aus der Sicht verschiedener Nutzergruppen zu untersuchen und vergleichen.
2) Unterschiede in der subjektiven und objektiven Usability-Wahrnehmung zu ermitteln, um die Bedeutung der verschiedenen Evaluierungsmethoden, Befragung und Eyetracking, für die Bewertung der Usability eines freien WebGIS festzustellen.
3) Eine strukturierte Sammlung von Usability-Problemen und Lösungsvorschlägen zu erarbeiten, die Softwareentwicklungsprozesse, z. B. hinsichtlich Fehlervermeidung, unterstützt.

Darüber hinaus soll durch Publikation der Studienergebnisse auch bei Entwicklern freier Softwarebibliotheken das Bewusstsein für die Usability von Webanwendungen der Geoinformatik geschaffen werden, damit Usability-Aspekte bereits im Kern dieser Anwendungen, also in den Softwarebibliotheken selbst berücksichtigt werden.
Untersuchungsgegenstand der Studie war der IÖR-Monitor (https://monitor.ioer.de), ein frei zugängliches WebGIS, welches bundesweite Analysen von Siedlungs- und Freiraumentwicklung unterstützt. Die Anwendung wurde 2010 veröffentlicht und kontinuierlich durch Publikation neuer Geodaten und Nutzung neuer Technologien weiterentwickelt. 2018 fand eine maßgebliche Überarbeitung hinsichtlich Funktionalität und Usability statt, bei der das aktuelle WebGIS als Webclient auf Basis von HTML und verschiedener Javascript-Bibliotheken, wie Bootstrap, Leaflet, D3 und jquery, entstand.
In der Usability-Studie wurden 28 potenzielle Nutzer des Monitors aus Wirtschaft, Wissenschaft und dem behördlichen Umfeld auf Grundlage ihrer Ausbildung und beruflichen Tätigkeiten in die Gruppe der GIS-Experten bzw. der Fachanwender eingeteilt. Die Probanden beider Nutzergruppen sollten jeweils drei Aufgaben mit entsprechenden Teilaufgaben zur Visualisierung, Analyse und Nutzung der Ergebnisse in der Anwendung durchführen. Mittels Eyetracking und weiterer Trackingsoftware wurden währenddessen Augenbewegungen (Fixationen (Fokussierungen), Sakkaden (Blicksprünge) und Scanpfade) sowie Bearbeitungsdauer und Mausklicks erfasst. In aufgabenspezifischen Fragebögen sowie einer abschließenden Befragung wurden darüber hinaus subjektive Eindrücke, Anmerkungen und Vorschläge der Probanden erfasst.
Usability-Probleme beim Erfüllen einer Aufgabe wurden typischerweise objektiv durch eine lange Bearbeitungsdauer und viele schnelle und verteilte Fixationen gemessen und durch die im Fragebogen entsprechend kritischen Bewertungen untermauert. Insbesondere bei der Beobachtung der Fachanwender zeigten sich aber auch Unterschiede in der objektiven und subjektiven Betrachtung der Usability. Während diese Probanden oft angaben, keine Probleme gehabt zu haben, zeigte die Auswertung der Eyetracking-Daten, dass sie mehrfach Menüs betrachteten, die nicht zum Erfüllen der jeweiligen Aufgabe beitrugen. Diese Probanden hatten beispielsweise Probleme in der Einstellung einer vorgegebenen räumlichen Gliederungsebene, z. B. Gemeinden in Hessen, oder beim Abfragen von Sachinformationen zu einem bestimmten Thema (im Monitor als Indikator bezeichnet). Sie benötigten mehrere Versuche für das Erfüllen einer Aufgabe, erbaten mindestens eine Hilfestellung oder konnten die Aufgabe sogar gar nicht erfüllen. Die Unterschiede zwischen subjektiven Fragebogenantworten und objektiv gemessenen Eyetrackingdaten dieser Usability-Studie weisen darauf hin, dass die Usability freier WebGIS vielschichtig betrachtet werden muss. Insbesondere die subjektive Wahrnehmung wenig erfahrener Nutzer kann deutlich von gemessenen Werten abweichen. Bei einer einfachen Nutzerbefragung, wie sie oft aus Kosten- und Zeitgründen während der Entwicklung freier WebGIS durchgeführt wird, bleiben demnach Usability-Probleme unentdeckt, die mittels Eyetracking schnell ermittelt werden können.
Unabhängig ob GIS-Experten oder Fachanwender wurden größere Usability-Probleme, wie z. B. ein kontrastarmes und bezüglich der Wahrnehmung ungünstig positioniertes Suchfeld oder komplexe über die ganze Anwendung verteilte Interaktionsfolgen, in beiden Probandengruppen gleichermaßen wahrgenommen. In den Eyetrackingdaten zeigte sich das sukzessive Abscannen der Anwendung und Suchen nach der nächsten passenden Handlungsoption durch viele Fixationen auf allen Elementen der Nutzeroberflächen und durch Sakkaden mit häufigen Richtungswechseln. Kleinere Usability-Probleme, z. B. beim Wechsel der Hintergrundkarte, wurden von den GIS-Experten weniger stark wahrgenommen, da sie auf Erfahrungen in der Nutzung anderer GIS zurückgreifen konnten und selbstsicherer, bspw. durch Ausprobieren, die gewünschte Aufgabe erfüllten.
Bei der Entwicklung webbasierter GIS für einen breiten Nutzerkreis sollte die Nutzeroberfläche zunächst für die Bedürfnisse der Nutzer mit den geringsten Fähigkeiten und Vorkenntnissen entwickelt werden und eine klare Struktur mit logisch und optisch sortierten Funktionen, z. B. in Toolbars, aufweisen. Maßgeblich für eine effiziente Nutzung sind auch die Beschriftungen und Piktogramme auf Buttons, sowie deren Gestaltung und Mouseover-Effekte. Dabei ist ein klar formulierter Buttontext einem uneindeutigem und bisher nicht etabliertem Icon vorzuziehen.
Die vielschichtigen Ergebnisse der Studie können teilweise in folgende Leitlinien zur Entwicklung nutzerfreundlicher freier WebGIS weiterentwickelt werden:

1) Umfangreiche Tabellen, bspw. mit thematischen Informationen zu bestimmten Orten, sollten Sortier- und Filtermöglichkeiten anbieten.
2) Zeitschieberegler zur Auswahl eines Zeitpunktes für die Visualisierung raumzeitlicher Informationen sollten unterhalb der Karte bzw. falls vorhanden, gruppiert mit anderen Karteneinstellungsoptionen platziert werden.
3) Omni-Suchfelder zur Suche nach räumlichen und thematischen Informationen sollten optisch hervorgehoben werden und Informationen zu möglichen Suchen sichtbar darstellen.
4) Farbschematas, die Nutzer interaktiv auswählen können, sollten Regeln der Barrierefreiheit, bspw. zu Farbsehschwächen, berücksichtigen.

Weitere Ergebnisse werden detailliert im Rahmen des Vortrags vorgestellt.
In zukünftigen Forschungs- und Entwicklungsarbeiten soll die Praxistauglichkeit der entwickelten Leitlinien überprüft werden. Die erarbeiteten Usability-Probleme und Lösungsvorschläge wurden im Usability-Portal (https://usability.geo.tu-dresden.de) der Professur für Geoinformatik ergänzt und dienen zusammen mit Ergebnissen aus bereits durchgeführten Studien und Workshops als Basis für weiterführende Untersuchungen und Konzepte zur Weiterverarbeitung des gesammelten Wissens.