Von proprietär zu Open-Source -Umstellung der kommunalen GDI bei der Stadt Reutlingen
26.03.2025 , HS2 (S10)

Die Stadt Reutlingen, eine Großstadt in Baden-Württemberg, stellte ihre kommunale Geodateninfrastruktur (GDI) von proprietärer auf Open-Source Software um. Ziel ist eine größere digitale Souveränität, Lizenzkostenreduktion und Unabhängigkeit von kommerziellen Anbietern. Im Vortrag wird die Vorgehensweise der Systemmigration und der Aufbau der neuen Open-Source GDI vorgestellt.


Key Facts Stadt Reutlingen:

• Reutlingen eine der neun Großstädte Baden-Württembergs mit 118.000 Einwohnern
• mehr als 2.600 städtische Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter
• Die Hochschulstadt und frühere Reichsstadt ist die größte Stadt und zugleich Kreisstadt des Landkreises Reutlingen
• Sie gehört zur Region Neckar-Alb und zur Metropolregion Stuttgart. Nahebei befindet sich die Mittelstadt Tübingen (12 Kilometer westlich), die nächste Großstadt ist Stuttgart (31 Kilometer nördlich)
• Mit der Spreuerhofstraße besitzt Reutlingen die engste Straße der Welt
• 17,5 Prozent der Gemarkung Reutlingens gehören zum Biosphärengebiet Schwäbische Alb, weshalb sich die Stadt auch als das „Tor zur Schwäbischen Alb“ bezeichnet

Key Facts Sachgebiet GeoInformationsSystem der Stadt Reutlingen:

• Im Baudezernat, Amt für Stadtentwicklung und Vermessung, Abteilung Vermessung
• Die Stadt Reutlingen ist Untere Vermessungsbehörde in Baden-Württemberg
• Das Geoinformationssystem wurde 1997 aufgebaut mit dem Liegenschaftskataster als erste Datenbank-Fachschale
• Team von 5 Personen
• stadtinterner "GIS-Dienstleister"
• 250.000 interne Zugriffe auf das Web-GIS Auskunftssystem im Jahr
• ca. 75 Datenbankthemen
• ca. 29 Themen, welche von den Fachämtern über GIS-Schnittstellen fortgeführt werden
• seit 2020 Geoportal im Internet für Bürger mit verschiedenen Themenkarten
• Umstellung der GDI auf Open-Source Software von 2021 bis Ende 2024

Motivation zur Umstellung auf Open-Source-Software:

• Abhängigkeit der GDI an Autodesk durch amtliche Führung und Qualifizierung des Liegenschaftskatasters
• Änderungen in der Lizenzpolitik und stetig steigende Lizenzkosten
• Mit dem Wechsel der ALKIS Softwarelösung zur Lösung des Landes Baden-Württembergs, gab es keine Abhängigkeiten mehr zur bestehenden GIS-Software
• Suche nach alternativer Software zum Aufbau einer modernen GDI
• Bei der Wahl der Systeme war es uns wichtig, zukünftig softwaretechnisch unabhängiger zu werden (Digitale Souveränität)
• Die Datenmigration und Systemumstellung sollte in Eigenregie durchgeführt werden können - ohne Abhängigkeit von einem Hersteller oder Dienstleister
• Ziel war es auf eine möglichst unabhängige und lizenzkostengünstige GDI zu wechseln
• Durch die Nutzung von Standards (OGC-konforme Geodatendienste) sollte eine zukunftssichere Infrastruktur geschaffen werden
• Schnell fiel die Wahl auf eine freie, quelloffene Softwareumgebung

Systemmigration:

• Ausgangslage war eine überwiegend proprietäre GDI. Sie bestand aus einer Oracle Datenbank, die mit verschiedenen Autodesk-Programmen administriert werden konnte. Die GDI bestand aus folgenden Hauptkomponenten:
o Datenbank (Oracle/Topobase) - Die Kartendarstellung für das Web-GIS Auskunftssystem erfolgte über die Software MapGuide Maestro und Autodesk Infrastructure Studio
o Datenaufbereitung (AutoCAD MAP 3D) - Über AutoCAD erfolgte auch die Einpflegung, Änderung und Löschung von Geoobjekten
o Kartenserver (MapGuide Open Source)
o Web-GIS (TBview) - Die aufbereiteten Daten wurden im Web-GIS Auskunftssystem den Benutzern bereitgestellt

• Ersetzten von drei Hauptkomponenten durch Open-Source-Produkte
o Datenbank -> PostgreSQL
o Datenaufbereitung & -fortführung -> QGIS
o Kartenserver -> QGIS-Server

• Themenweise Migration der Daten (entsprechend der Datenbank-Fachschalen)

• ALKIS GIS-Datenbank -> PostNAS Suite

Vorgehen:

  1. Datenmigration von Oracle in PostgreSQL (PostGIS)
    o Datenmigration war der Schwerpunkt einer Bachelorarbeit 2021/2022
    o Es wurden die vorhandenen Daten in Oracle gesichtet und untersucht, um deren Struktur besser verstehen zu können und zu wissen, worauf bei der Datenmigration geachtet werden musste
    o Überlegen wie diese Anforderungen in PostgreSQL umgesetzt werden können (z.B. Topologie)
    o Ausarbeitung eines möglichst automatisierten Migrationsprozesses
    o Für den Migrationsprozess wurde die Software FME verwendet. Diese Software war zu diesem Zeitpunkt schon mehrere Jahre bei der Stadtverwaltung Reutlingen im Einsatz

  2. Stilisierung der Themen aus MapGuide in QGIS nachbilden

o kann durch Fachkraft/Azubi durchgeführt werden
o Symbole lagen als AutoCAD Block-Elemente vor
o Symbole werden in Inkscape als SVG-Datei neu erstellt

  1. Publikation der Themen mit QGIS-Server und MapProxy über WMS/WMTS

o QGIS Projekte können direkt über den Server publiziert werden
o für gecachte Services wird MapProxy eingesetzt

  1. Einbindung der neu aufbereiteten Themen in Web-GIS (TBview)

o Einbinden von PostgreSQL-Datenbanken
o Einbinden von WMS/WMTS-Diensten

  1. Umstellung der (mobilen) Erfassungsmasken auf QGIS, QField oder weiterhin innerhalb TBview

o Beispiel Straßenschäden, Baumpflege, Friedhofsgrabverwaltung, Leerstand Gewerbe, Fahrradabstellanlagen …

Aufbau der Open-Source GDI (s. Bildanhang):

Vorstellung von Projekten:

Friedhofskataster
o Geometrien der Gräber werden eigenständig von Fachamt über QGIS (Desktop) fortgeführt
o Verknüpfung von Datenbank aus Friedhofsverwaltungssoftware (mpsFIM) für Sachdaten

Baumkataster
o Komplett eigenständige Lösung für die Baumkontrolle und -pflege
o Mobile Datenerfassung mit QField

Ausblick
• Geodatendienste im Internet
• Umstellung weiterer Komponenten auf Open-Source?