Lars Bartsch
Ich bin Wirtschafts- und Sozialgeograph mit Schwerpunkt Geoinformationssysteme und leite das Referat "Sichere Verbraucherprodukte und -dienste, Marktbeobachtung" am Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik. Zuvor war ich bei Landesbehörden in NRW und Sachsen für eine Reihe von amtlichen Fachstatistiken und Publikationsdatenbanken, sowie für die Informationssicherheit öffentlicher Erhebungsstellen verantwortlich.
Beitrag
Wenn IT-Sicherheit öffentlich verhandelt wird, geht es dabei um Fragen der Souveränität von Staaten, den Schutz kritischer Infrastrukturen gegen Hackerangriffe oder um Unternehmen, die zu wenig in den Schutz ihrer IT-Systeme investieren und dadurch z.B. Datenleaks riskieren. Wie wenig IT-Sicherheit auf das Private bezogen wird, zeigt sich auch im Hinblick auf die Bereiche IT-Sicherheitsmanagement und Riskoanalyse. Handreichungen für die IT-Sicherheit im privaten Kontext, fehlen entweder oder reflektieren die besondere Gefährdungslage im sozialen Nahbereich nur unzureichend.
Ein Beispiel für solche neuen Gefährdungslagen ist Digitale Gewalt. Wenngleich der Begriff im öffentlichen Diskurs vornehmlich mit Hate Speech assoziiert wird, fallen darunter auch Phänomene wie die Zerstörung von Daten, den unauthorisierte Zugriff auf E-Mail oder Social Media Accounts oder die Überwachung anderer mittels Tracker und Spyware. Gerade an der Schnittstelle von Digitaler Gewalt und IT-Sicherheit werden damit Formen des Technologiemissbrauchs sichtbar, die tief in die informationelle Selbstbestimmung der Betroffenen eingreifen und zu einer Omnipräsenz des Angreifers führen. Der physische Zugang zu den IT-Systemen im sozialen Nahraum sowie eine oftmals sehr gute Kenntnis des Angriffsziels erleichtern den Zugriff auf persönliche Daten, Online-Accounts und IoT-Geräte. Die Folgen können von der lückenlosen Kontrolle des Angriffsziels bis hin zu Bewegungseinschränkung, Rufschädigung, der Isolation von sozialen Netzwerken und dem Verlust des Arbeitsplatzes reichen.
Für die IT-Sicherheit muss damit die Erkenntnis verbunden sein, dass das Modell des weit entfernten Angreifers mit wirtschaftlichen Interessen zu kurz greift. Denn was Digitale Gewalt im sozialen Nahbereich besonders abheben lässt, sind die privaten bzw. emotionalen Angriffsmotive: Kontrolle und Macht. Und so wenig das Phänomen bislang erforscht ist, hier wie auch anderswo gilt die besondere Wachsamkeit den Autoritäten des Digitalen gegenüber – dem Nachbarn, dem IT-Dienstleister um die Ecke, dem eigenen Ehepartner oder den betreuenden und pflegenden Familienmitgliedern.
Im Rahmen des Workshops sollen zunächst durch einen kurzen Impuls die spezifischen Problemstellungen und zentralen Herausforderungen an der Schnittstelle von Digitaler Gewalt und IT-Sicherheit herausgearbeitet werden. Dies erfolgt am Beispiel eines aktuell im Rahmen des BSI-Formats „Dialog für Cybersicherheit“ laufenden Workstreams zu Digitaler Gewalt. Dabei ist die spezifische Akteurskonstellation von besonderem Interesse. Denn gerade bei denen, die auf Hilfe anderer angewiesen sind, um an der Digitalisierung zu partizipieren, ist das Missbrauchspotential besonders groß. Das führt dazu, dass Betroffene im Diskurs zur Gestaltung von Digitalität allgemein und von IT-Sicherheit im Besonderen stark unterrepräsentiert sind. Lösungen, so die These, sollten jedoch immer an der Alltagspraxis der Betroffenen anschließen, um wirksam zu werden. Wir möchten mit Euch diskutieren, welche Schlussfolgerungen damit für die konstruktive Zusammenarbeit zwischen Zivilgesellschaft und Staat verbunden sind, welche Aspekte bislang vernachlässigt wurden und wie ein schlagkräftiges Bündnis gegen Digitale Gewalt, welches die Betroffenen zum Ankerpunkt seiner Aktivitäten macht, aussehen könnte.