13.09.2024 –, Zählhalle
Sprache: Deutsch
Das Militärische Nachrichtenwesen (MilNW) der Bundeswehr ist mit 7000 Beschäftigten – Tendenz steigend – der größte deutsche Nachrichtendienst. Im Gegensatz zu den drei Nachrichtendiensten des Bundes (BND, BfV und BAMAD), sind die Überwachungsbefugnisse des MilNW erneut nicht Teil der Reform.
Unser Vortrag wirft ein kritisches Licht auf die Überwachungspraxis der Bundeswehr. Wir zeigen, welche Regelungen und Kontrollmechanismen genau fehlen und welche Maßnahmen notwendig wären, um das derzeit bestehende hohe Missbrauchspotenzial zu verringern.
Nach langem Ringen hat die Ampelregierung in diesem Sommer eine überfällige Reform des Nachrichtendienstrechts angeschoben. Zentrale Defizite beim Grundrechteschutz und bei der Rechtsstaatlichkeit sind dabei aber nicht adressiert worden: Dazu gehört die Regulierung und Kontrolle der Überwachungsbefugnisse des MilNW. Diese bleiben weit unterhalb der verfassungsrechtlichen Vorgaben und die Ampel verschleppt diesen rechtsstaatlichen Problemfall.
Der hauseigene Nachrichtendienst der Bundeswehr ist mit 7000 Beschäftigten personell der stärkste Akteur mit nachrichtendienstlichen Befugnissen auf Bundesebene. Im Gegensatz zum Militärischen Abschirmdienst (MAD) richtet das MilNW seinen Blick nicht auf die Truppe selbst, sondern vor allem auf Personen in anderen Staaten. Dafür hört er Gespräche über Funkgeräte und Handys ab, wirbt Informant:innen im Ausland an und wertet Informationen aus dem Internet systematisch und automatisiert aus. All das dient der Kernaufgabe des MilNW, den militärischen Informationsbedarf für politische und militärische Entscheider:innen zu decken. Empfänger der Informationen kann also auch die Bundesregierung sein.
Denn bisher gibt es kein spezifisches Gesetz, das die Überwachungstätigkeiten des MilNW regelt. Während für den Auslandsnachrichtendienst im BNDG detaillierte Regeln dazu festgelegt werden, unter welchen Umständen beispielsweise Telekommunikation abgefangen werden darf, sind diese Regeln für das MilNW, wenn überhaupt nur in internen Dienstvorschriften festgelegt. Das mindert zum einen die demokratische Legitimation und verringert zum anderen die Rechtssicherheit für die Soldat:innen. Dass nicht nur ein theoretisches Problem hinsichtlich der Datenverarbeitung durch die Bundeswehr besteht, sondern die unzureichenden Regelungen auch praktische Konsequenzen haben, verdeutlicht der Kontrollbericht des BfDI dieses Jahres. Im Zuge der Kontrolle wurden im Bereich des Militärischen Nachrichtenwesens zahlreiche datenschutzrechtliche Verstöße und unzulässig gespeichert Daten festgestellt. Durchsetzen kann er die Behebung von Datenschutzverstößen und der Löschung illegaler Dateien aber nicht – denn dafür fehlen ihm die Befugnisse. Auch die fehlende gesetzliche Grundlage für das MilNW hat der BfDI bereits mehrfach erfolglos beanstandet.
Ein ähnliches Ungleichgewicht besteht bei der Kontrolle der Überwachungstätigkeiten. Zwar kann der BfDI grundsätzlich alle Datenbestände kontrollieren, dies geschieht jedoch nur punktuell und stichprobenartig. Während besonders eingriffsintensive Maßnahmen des BND unter Vorbehalt einer unabhängigen Rechtskontrolle stehen, erfolgt die Genehmigung bei der Bundeswehr behördenintern. Wie wichtig eine unabhängige Vorabkontrolle für besonders grundrechtsintensive geheime Überwachungsmaßnahme ist, hat das BVerfG in mehreren Urteilen herausgestellt. Denn wo Betroffene sich sonst im Nachhinein gegen einen Grundrechtseingriff gerichtlich zur Wehr setzen können, ist das bei verdeckten Eingriffen kaum möglich. Eine weitere klaffende Lücke besteht bei der parlamentarischen Kontrolle. Während das PKGr für das MilNW keine Zuständigkeit hat, könnte der Verteidigungsausschuss zwar tätig werden, tut dies in der Praxis aber nicht ausreichend. Die Kontrolle wird nämlich einerseits durch das breite Mandat des Verteidigungsausschusses und den begrenzten Ressourcen beschränkt, die eine Befassung in der gebotenen Tiefe und Kontinuität kaum zulassen. Andererseits haben auch die Mitglieder des Verteidigungsausschusses keinen ausreichenden Zugang zu den internen Dienstvorschriften, die die Überwachungstätigkeiten reglementieren.
Der fehlende einfachgesetzliche Rahmen und die unzureichenden Kontrollbestimmungen im Bereich des militärischen Nachrichtenwesens genügen nicht den verfassungsrechtlichen Mindestanforderungen. Wir kritisieren, dass die Ampelkoalition diesen rechtsstaatlichen Missstand nicht behoben hat.
Corbinian Ruckerbauer (er/ihm) ist für interface im Bereich Digitale Grundrechte, Überwachung und Demokratie tätig.
In seiner Forschung beschäftigt er sich mit dem Zusammenwirken öffentlicher und privater Akteure im Sicherheitssektor und dessen Auswirkungen auf Grundrechte und Demokratie. Er koordiniert das European Intelligence Oversight Network (EION), das Nachrichtendienstkontrolleur:innen und anderen Expert:innen eine Plattform für regelmäßigen und strukturierten Austausch bietet.
Er gehört zum Redaktionsteam von about:intel, einer Diskussionsplattform, die Expert:innen zu einem sektor- und länderübergreifenden Dialog zusammenbringt, um drängende Fragen an der Schnittstelle von Technologie, Überwachung und Demokratie zu diskutieren. Er war auch an der Entwicklung der Website intelligence-oversight.org beteiligt. Dieses Tool, richtet sich an Praktiker:innen, Forscher:innen, Journalist:innen und die interessierte Öffentlichkeit und sammelt Good Practices der Kontrolle von Nachrichtendiensten.
Dr. Thorsten Wetzling heads the research unit "Digital Rights, Surveillance and Democracy" of interface. His research and advocacy focuses on different modes of access and subsequent processing of personal data by national security, law enforcement and defense agencies across Europe. Often this entails a comparative analysis of legal frameworks and accountability and redress mechanisms. Thorsten is founder of the European Intelligence Oversight Network (EION) which regularly explores new ideas and challenges for democratic intelligence governance in collaborative workshops with oversight practitioners from across the continent. Thorsten is also the co-founder and editor of aboutintel.eu – a European discussion forum on surveillance, technology and democracy.