07.10.2023 –, Ostasien
Das demokratische Kriegsverhalten ist seit über 30 Jahren Gegenstand der demokratiezentrierten Friedens- und Konfliktforschung. Das binäre Demokratie-Autokratie-Konzept vieler Democratic Peace-Studien muss jedoch dringend disaggregiert werden, um subtilere Einsichten zum Einfluss von Demokratiequalität und -typ auf die Konfliktivität zu gewinnen. Im Sinne eines Constitutional Engineering werden hier Polity-Empfehlungen zur Gestaltung von Demokratien zwecks optimaler Friedenssicherung abgegeben.
Auf der Suche nach den Ursachen militärischer Konflikte im internationalen Raum, an denen sich – etwa in Form von „klassischen“ Interstate Wars oder Internationalized Intrastate Wars – mindestens zwei staatliche Akteure beteiligen, hat sich v. a. in der US-amerikanischen Politikwissenschaft der 1990er-Jahre ein renommiertes Forschungsprogramm entwickelt: der Demokratische Frieden. Denn Demokratien, so der dyadische Befund, führen keine Kriege gegen andere Demokratien, weisen aber, und dabei handelt es sich um den monadischen Befund, keine per se geringere Kriegsbereitschaft als Autokratien auf. Einschlägige quantitative, deskriptive wie inferenzstatistische Analysen, die diesen Doppelbefund stützen, finden sich zuhauf. Und es besteht kein Zweifel daran, dass die Mehrzahl dieser im Bereich der Internationalen Beziehungen verorteten Studien die Untersuchung des Kausalzusammenhangs von polit- und v. a. herrschaftssystemischen Gegebenheiten mit dem Konfliktverhalten von Staaten maßgeblich geprägt hat. Da das Forschungsprogramm Mitte der 2000er-Jahre jedoch einen immensen Aufmerksamkeitsverlust erfahren hat, muss auf Basis heutiger Erkenntnisse der theoretischen wie empirischen Demokratieforschung, aber auch der Internationalen Beziehungen auf zwei zentrale und dringend adressierte Unzulänglichkeiten dieses nunmehr „verstaubten“ Forschungsprogramms und seiner Studien verwiesen werden.
Zum Ersten ist es notwendig, die Demokratien und Autokratien der Welt nicht mehr bloß in diese zwei antagonistischen systemischen Makrogruppen einzuteilen. Vielmehr müssen die Einsichten der Vergleichenden Politikwissenschaft genutzt werden, um einen differenzierteren Blick auf Regimekategorien (und damit deren außerstaatliche Konfliktivität) zu gewinnen. Hierzu müssen zusätzlich a) die Demokratiequalität und b) der Demokratietyp einbezogen werden, um endlich auch Unterschiede innerhalb der Gruppe der Demokratien und deren Verhältnis zu Krieg und Gewalt, die über die eigenen Landesgrenzen hinausgehen, zu ergründen. So ist z. B. davon auszugehen, dass präsidentielle Demokratien mit höherer Wahrscheinlichkeit in externe gewaltsame Konflikte militärisch intervenieren, weil die Oberbefehlshabe über die eigenen Streitkräfte in einer monistischen Exekutive mit umfassendem Machtbereich vereint wird. Dagegen sind Auslandseinsätze in parlamentarischen Demokratien von der Zustimmung von (Teilen) der Legislative („Parlamentsarmee“) abhängig; entsprechende Parliamentary Oversight-Mechanismen erhöhen die Hürden für Initiierungen von Kriegen bzw. Eintritte in laufende Konflikte. Vor diesem Hintergrund ist auch davon auszugehen, dass Lijphart’sche Mehrheitsdemokratien eine höhere Konfliktivität als Konsensdemokratien aufweisen. Für das Demokratieniveau kann theoretisiert werden, dass mit einem höheren Maß an Partizipation und Deliberation (in Anknüpfung an Kants Annahme der prinzipiellen Kriegsscheu von Republiken) eine Abnahme der Konfliktivität einhergeht, weshalb elektorale oder dysfunktionale Demokratien evtl. eine „kürzere Zündschnur“ als liberal-rechtsstaatliche Demokratien unter Beweis stellen.
Zum Zweiten ist es der Democratic Peace-Forschung bislang nur im Ansatz gelungen, zwischen den „Kriegsrollen“ der an gewaltsamen Konflikten beteiligten Demokratien zu trennen, d. h. in vielen quantitativen Studien zur systembedingten Kriegsaffinität wird nicht danach unterschieden, welche Partei für den Ausbruch und Fortbestand des Krieges verantwortlich ist. Zu entsprechend problematischen Resultaten gelangen z. B. Studien, in denen der Ukraine und Russland 2022/23 bzw. den dahinterstehenden Systemen ein und dieselbe Kriegsneigung attribuiert wird. Hier ist es erforderlich, bewusster zwischen Aggressoren und Defensoren zu differenzieren, um nicht nur das Ausmaß an Kriegsbeteiligungen, sondern die genuine Bereitschaft zum militärischen Gewalteinsatz aufzudecken. Bei den Hypothesen, die hier geprüft werden, werden einerseits verschiedene Arten von Kriegen, also z. B. zwischenstaatliche Kriege und humanitäre Interventionen in Drittstaaten, und anderseits ebensolche Verantwortungen oder „Funktionen“ der Kriegsparteien berücksichtigt.
Die hiesigen quantitativen Untersuchungen werden mithilfe von Time-Series Cross-Sectional-Daten des Uppsala Conflict Data Program und von Varieties of Democracy realisiert. Die Stichprobe umfasst (beinahe) alle Staaten der Welt für den Zeitraum von 1946 bis 2021, wobei die Fallzahl zur Umsetzung multivariater logistischer Regressionsmodelle durch die Berücksichtigung von „Länderjahren“ künstlich erhöht wird. Neben den systemischen Prädiktoren und der abhängigen Variable der außerstaatlichen Konfliktivität werden u. a. die militärische Stärke, das GDP und die Weltregion als Kovariaten inkludiert. Mit den aufgedeckten statistisch signifikanten Effekten ist es möglich, die Wahrscheinlichkeit eines Krieges bei Vorliegen eines spezifischen Herrschafts- bzw. Regierungssystems vorherzusagen.
Wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Professur für Methoden der Politikwissenschaft unter Berücksichtigung der Demokratie- und politischen Sozialisationsforschung, Institut für Politikwissenschaft, Justus-Liebig-Universität Gießen. Zuvor Studium der Empirischen Demokratieforschung (MA) sowie der Unterrichtsfächer Sozialkunde und Spanisch (MEd) an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz. Laufendes Promotionsprojekt zur politischen Performanz von Demokratisierungen mit Blick auf die Ausprägung und Entwicklung innerstaatlicher Gewalt.