Polnische Perlen vs. Agentinnen des Wandels. Geschlecht in Bewegung!?
21.09, 17:15–18:00 (Europe/Berlin), GD 03/150

Der Vortrag behandelt eine Form der Care Migration von Erwerbsmigrantinnen, die mit dem euphemistischen Begriff der "24-Stunden-Pflege" belegt ist und eine privatisierte Pflegealternative zu staatlichen Lösungen bietet. Die so beschäftigten häuslichen Pflegerinnen pendeln zwischen ihrem Lebens- und Arbeitsstandort und formieren auf diese Weise einen transnationalen Raum, der mit intersektionellen Anforderungen, Rollenzuschreibungen und normierenden Diskursen ausgestattet ist und für sie eine handlungsrelevante Folie bietet. Es soll sich so der Frage gewidmet werden, wie sich die Geschlechterkonstruktionen polnischer Pflegekräfte in Zuge dieser transnationalen Erwerbsstrategie entwickeln und inwiefern diese ihre subjektiven Handlungsspielräume beeinflussen.


„Was privat war, wird zu einem öffentlichen Ort, einem Arbeitsplatz für bezahlte Hausarbeit im Privathaushalt“ (Schwarz 2015: 25).

Im Rahmen weltweit stattfindender Globalisierungsprozesse haben sich bestehende soziale Ungleichheitsstrukturen auf einem zuvor nie dagewesenen, globalen Niveau intensiviert. Neoliberale Staatsagenden sowie ein exponentiell wachsender Einfluss der machtvollen Global Player führen zu einer Normalisierung von Unsicherheits-, und Entgrenzungserfahrungen, die den Alltag vieler Menschen maßgeblich prägen. Globale Machtasymmetrien zwischen reichen Industrieländern und wirtschaftlich ärmeren Ländern führen zu einer Verstetigung von überwunden gehofften Abhängigkeitsverhältnissen, welche in den postkolonialen Arbeitsbedingungen der ausgelagerten Produktionsstätten in sogenannten „Billiglohnländern“ besonders drastisch exemplifiziert werden.

Der Vortrag soll sich vor diesem Hintergrund mit einem besonderen Komplex beschäftigen, welcher ein Sinnbild für machtvolle Interdependenzen zwischen ost- und westeuropäischen Ländern konstituiert. Dabei handelt es sich um ein Phänomen, das sich unter der euphemistischen Bezeichnung der „24-Stunden-Pflege“ zu einer allgemein bekannten Lösungsstrategie in Deutschland etabliert hat, mit der den Folgen des demografischen Wandels und der Unzulänglichkeit des deutschen Wohlfahrtssystems im Allgemeinen und einer familialistisch ausgerichteten Pflegepolitik im Besonderen beigekommen werden soll. Eine steigende Relevanz dieser individuellen Pflegeoption wird nicht zuletzt von einer unüberschaubaren Bandbreite von Internetseiten illustriert, welche mit einer „(…) liebevolle(n) und fürsorgliche(n) Altenpflege zu einem fairen und bezahlbaren Preis“ (Vilena 2019) werben. Dabei wird nicht selten auf die qualifizierenden Eigenschaften polnischer Frauen wie eine besondere Aufopferungsbereitschaft oder Herzlichkeit referiert, welche ihnen entlang der Kategorien Geschlecht wie auch Herkunft förmlich auf den Leib geschrieben und infolgedessen naturalisiert werden.

Basierend auf den Ergebnissen, welche die Referentin in Ihrer Bachelorarbeit „Magda macht das schon! Barrieren, Handlungsspielräume und Wandel in den Geschlechterkonstruktionen polnischer Pflegemigrantinnen“ gefasst hat, bietet der Vortrag vermittels einer intersektionalen Perspektive einen fundierten Einblick in die Thematik. Neben einer Einführung in die dabei zum Tragen kommenden, strukturellen Ungleichheitsverhältnisse, soll in einem weiteren Schritt der Frage einer Veränderbarkeit geschlechtsspezifischer handlungsrelevanter Konstruktionen polnischer Pflegemigrantinnen im transnationalen Spannungsfeld zwischen deutschen Erwerbs- und polnischen Lebenskontext nachgegangen werden. Von besonderem Interesse erscheint diese Fragestellung, da es sich bei der betrachteten Gruppe der polnischen Erwerbsmigrantinnen in der privaten Pflege meist nicht um langfristig in Deutschland lebende Personen handelt. Es geht vielmehr um sogenannte Pendelmigrantinnen, welche zwischen Herkunfts- und Arbeitsort oszillieren, um weiterhin ihren privaten Pflichten gerecht zu werden, während gleichzeitig alternative Einkommensstrategien verfolgt werden, die die Aufrechterhaltung eines erodierenden Lebensstandards garantieren sollen.

Literatur

  • Schwarz, Julia Sophia (2015). Globalisierte(s) Sorgen. „24–Stunden–Pflege“ und Transnationale Care Work. Münchner ethnographische Schriften, Band 19. München: Herbert Utz Verlag.
  • Vilena. Pflege zuhause (2019). https://vilena.de.

Oft gilt auch in heutigen medialen und wissenschaftlichen Rezeptionen männliche (Erwerbs-)Migration als die Referenzfolie vor deren Maßgabe alle Migrationsbewegungen gefasst und bewertet werden. Da ich einen Beitrag an der Beseitigung dieses blinden Flecks leisten wollte, habe ich mich den Spezifika der Erwerbsmigration von Frauen, insbesondere der sogenannten Care Migration gewidmet. Ein Feld, was von neuen Formen globaler Ungleichheiten durchzogen ist und sich an der Schnittstelle von Migrations- und Geschlechterforschung befindet.