Prävalenz weiblicher Genitalbeschneidung (FGC) in Ägypten - Mutter- und Tochtergeneration
21.09, 16:30–17:15 (Europe/Berlin), GD 04/520

Die nachfolgende Analyse behandelt das Thema der weiblichen Genitalbeschneidung (FGM). Der Hauptfokus liegt hierbei auf Erklärungs- und Interventionsansätzen, sowie auf der Beschreibung soziodemographischer Merkmale. Betrachtet werden zudem Prävalenz, Einstellung und aktuelle Entwicklungen der Praxis in Ägypten, das aufgrund der sehr hohen Prävalenz (28 Too Many 2017) als Fallbeispiel gewählt wurde.
Als Fallbeispiel soll ferner auf das Land Ägypten eingegangen werden. Hier werden zentrale Kennzahlen, die dem DHS entnommen wurden für die Jahre 1995-2014 präsentiert und anschließend über den Zeitverlauf hinweg auf Veränderungen hin verglichen.


Der Vortrag behandelt das Thema der weiblichen Genitalbeschneidung (FGM). Der Hauptfokus liegt hierbei auf Erklärungs- und Interventionsansätzen, sowie auf der Beschreibung soziodemographischer Merkmale. Betrachtet werden zudem Prävalenz, Einstellung und aktuelle Entwicklungen der Praxis in Ägypten, das aufgrund der sehr hohen Prävalenz (28 Too Many 2017) als Fallbeispiel gewählt wurde.

Hierbei kann erwartet werden, dass sich innerhalb der Periode 1995-2014 die soziodemographischen Merkmale aufgrund von Bildungsexpansion und gesetzlichen Verboten (1997 und 2007) von FGM verändert haben. Dies könnte zu einer Veränderung in der Einstellung führen, was wiederum in einer Veränderung ihrer Prävalenz in der Töchtergeneration resultieren könnte. Das Thema ist soziologisch relevant, da hier eine irreversible Inkorporation patriarchalischer Gesellschaftsstrukturen in den Körper untergeordneter Mädchen vorgenommen wird, daher kann man hier auch von der Reproduktion sozialer Geschlechterungleichheitsstrukturen durch ein Schönheitsideal und eine Habitualisierung sprechen. Zunächst wird ein Überblick über den aktuellen Forschungsstand gegeben. Anschließend werden die verwendeten Methoden vorgestellt. Daran schließt eine Präsentation der Ergebnisse an. Den Abschluss bilden ein Fazit und darauf aufbauend ein Ausblick.

Bezüglich des Forschungsstandes orientiere ich mich vor allem an Farina Asefaw (2007) (Ärztin), Paul Yoder (2013) (Sozialwissenschaftler), Kathryn Yount (2008) (Sozialdemographin), 28 Too Many (2018) (Menschenrechtsorganisation) und El Zanaty et al. (2015) (Demographic and Health Survey). Diese zeigen, dass es sich bei der FGM um eine soziokulturelle multikausale Praxis, die in den praktizierenden Gemeinschaften Normalität ist, handelt. Für die betroffenen Frauen ist sie mit Gesundheitsrisiken verbunden. In Ägypten sind etwa 90 Prozent der Frauen beschnitten. Vor allem seit Beginn der 2000er gibt es viele Interventionsversuche FGM zu reduzieren. Problematisch ist hierbei, dass die meisten Kampagnen nur medizinische Probleme fokussieren, weshalb diese als einzig Relevante wahrgenommen werden. Seit 2007 ist FGM in Ägypten gesetzlich komplett verboten, jedoch wird dieses Gesetz kaum verfolgt (vgl. 28 Too Many 2017). Wie schon El Zanaty et al. (2015) zeigen, sind in den DHS-Daten leicht abnehmende Zustimmungswerte zur Praxis festzustellen. Vor allem junge, gebildete und christliche Frauen hinterfragen dies. Allerdings ist der Schritt zwischen dem Hinterfragen der Praxis und dem, seine Tochter nicht beschneiden zu lassen, ein sehr schwieriger, da Mütter sich häufig zwischen ihrer eigenen und der Meinung der Gesellschaft gefangen fühlen. Um ihrer Tochter möglichst gute Zukunftschancen zu bieten beugen sie sich dem gesellschaftlichen Druck, auch wenn dies ihrer eigenen Meinung widerspricht (vgl. Asefaw 2007). Jedoch können die Anti-FGM-Kampagnen nicht als gänzlich einflusslos abgestempelt werden: durch sie rückt das medizinische Risiko der Praxis ins Bewusstsein der Mütter, weshalb der Eingriff immer häufiger im Krankenhaus, teilweise von Ärzt_innen, durchgeführt wird. Dieser Trend heißt Medikalisierung (vgl. Modrek 2016) und wird sehr kritisch betrachtet, denn anstatt die Gründe der Praxis zu hinterfragen wird diese nur (vermeintlich) risikoärmer.

Versucht man die Praxis der weiblichen Genitalbeschneidung theoretisch zu fassen, so eignet sich Norbert Elias‘ Theorie der Etablierten-Außenseiterbeziehungen (Rosa et al. 2013: 202-221). Hierbei wären alle Mädchen qua Geburt Außenseiterinnen. Durch den Vorgang der FGM erleben sie einen quasi irreversiblen Übergang zu den Etablierten, der Gemeinschaft von sittsamen, treuen und guten Frauen und Müttern. Die Zugehörigkeit zu dieser Gruppe ist relativ überdauernd und bringt für die Frauen soziale Vorteile mit sich. Ein Rückgang in die Gruppe der Außenseiter ist nur durch Defibulation vor dem Ende der Reproduktiven Phase oder (zumindest ideell) durch Engagement gegen FGM möglich. Niemals sollten beschnittene Frauen dauerhaft in der Gruppe der Außenseiterinnen verbleiben.

Aufbauend auf Theorie und Forschungsstand untersuche ich die Thematik mit Hilfe des Demographic and Health Surveys (DHS) aus den Jahren 1995, 2002 und 2014. Die Stichprobe des Datensatzes setzt sich aus jemals verheirateten Frauen zwischen 15 und 49 Jahren zusammen. Zunächst werden soziokulturelle Merkmale betrachtet. Anschließend fokussiere ich mich auf ihre Einstellung zu FGM, ihre eigene Beschneidungshistorie und die der ersten Tochter, sowie der Zustimmung, dass FGM tödlich sein kann. Zunächst betrachte ich die Verteilung der soziodemographischen Merkmale der einzelnen Jahre und vergleiche anschließend die Zeitpunkte, um Veränderungen festzustellen. Im zweiten Schritt suche ich nach Prädiktoren für die Beschneidung der ersten Tochter, sowie die Einstellung der Mutter zu FGM. Hierzu verwende ich logistische multivariate Regressions-Modelle. Anschließend vergleiche ich meine Ergebnisse über die drei betrachteten Zeitpunkte hinweg.

Bei der Analyse zeigen sich vor allem die drei folgenden Dinge: Trotz zahlreicher und intensiver Anti-FGM-Kampagnen hat die Prävalenz der FGM in den betrachteten 20 Jahren kaum abgenommen. Während die meisten Beschneidungen im Datensatz von 1995 noch von Dayas (traditionelle Beschneiderinnen) durchgeführt wurden, wird diese Rolle 2014 von Ärzten eingenommen. Betrachtet man Interventionsansätze, die Praxis abzuschaffen, so ist der größte Schutzfaktor für ein Mädchen, wenn die eigene Mutter nicht beschnitten ist. Daraus lässt sich ableiten, wie auch Asefaw (2007) herausarbeitet, dass die bisherigen Interventionsansätze noch nicht stimmig genug mit der Lebensrealität in den praktizierenden Ländern sind. Auch die bereits diskutierte Medikalisierung der Praxis konnte mit dem DHS-Datensatz bestätigt werden.

Dies bedeutet, dass sich die Ausübung der Praxis in Ägypten verändert. Allerdings findet (noch) kein empirisch nachweisbarer gesellschaftlicher Wandel statt, der die zugrundeliegenden patriarchalen Strukturen offen kritisierbar macht. Dadurch können diese nicht nachhaltig geändert werden und die sozialen Auswirkungen, vor allem die geschlechtsspezifische Benachteiligung von Mädchen und Frauen bleibt bestehen. Um einen Wandel anzustoßen, wird von der Literatur einstimmig der folgende Interventionskanon genannt: Hier muss parallel eine bessere, auch sexuelle, Bildung von Mädchen erfolgen und die allgemeine Lebenssituation der Familien verbessert werden. Gleichzeitig muss weiterhin über die Praxis informiert werden, denn das Wissen und der daraus resultierende Umgang der Bevölkerung mit FGM ist noch nicht ausreichend. Für diese Sensibilisierung müssen in der Gemeinschaft hoch angesehene Multiplikatoren gewonnen werden. Diese Rolle könnten vor allem Imame oder Dayas ausüben. Dafür ist jedoch noch sehr viel Sensibilisierungsarbeit zu leisten. Die Ergebnisse der vorliegenden Untersuchung legen dabei grundlegende Wirkungszusammenhänge dar, die in einer qualitativen Studie ergänzend noch feiner herausgearbeitet werden könnten.