Alfred Schütz und das Problem der Verrücktheit
21.09, 12:15–13:00 (Europe/Berlin), GD 04/520

Können Psychosen Alltag werden?


Die Grenzen zwischen Realität und Traum oder Phantasie sind nicht immer leicht aufrecht zu erhalten oder gar zu erkennen. Für unseren Alltag sind diese Grenzen allerdings unerlässlich. Ein geteiltes Verständnis von dem, was wirklich ist, ermöglicht uns Kommunikation und Handlung. Dass es sich bei der Wirklichkeit letzten Endes auch nur um die geteilte Annahme eines sozialen Konstruktes handelt, spielt in unserem Alltag keine Rolle. In Erinnerung bleiben uns vielmehr die vielen Momente, in denen dieses geteilte Verständnis der Wirklichkeit nicht zustande kommt. Eine dieser Situationen des Scheiterns stellen Psychosen dar.

Im Vortrag möchte ich genau diesen Moment des Scheiterns nachgehen und aufzeigen, wie Psychosen aus wissenssoziologischer Perspektive verstanden werden können. Psychosen stellen dann nicht einfach eine Krankheit dar, sondern übersetzt in die Arbeit Alfred Schütz werden Psychosen zu anderen möglichen Subuniversen, die ebenso einen Anspruch auf Realität haben, wie die Welt des Alltags. Zudem geht es mir darum, den gesellschaftlichen Umgang mit Psychosen zu betrachten und die – so meine These – notwenige Pathologisierung und Diskriminierung von Psychosen zum Erhalt eines funktionierenden Alltags zu erklären.

Mit diesem Thema und meinem Vorgehen werde ich auch Grenzen von Disziplinen und Theorien in Frage stellen und möchte einen Raum für Diskussionen eröffnen. Hier treffen die frühe Wissenssoziologie auf die ohnehin schon interdisziplinären Mad Studies und lassen ein Spannungsverhältnis entstehen. Einig sind sie sich in der sozialen Konstruiertheit ihrer Analysegegenstände. Während Alfred Schütz Fragen nach der Entstehung eines gemeinsamen Alltags stellt, beschäftigen sich die Mad Studies als eine emanzipatorische Forschungsrichtung kritisch mit der Konstruktion und dem Umgang mit (psychischen) Erkrankungen und Gesundheit. Die Mad Studies folgen in ihren theoretischen Grundannahmen weitestgehend den Arbeiten Michel Foucaults zu Disziplinierung und Macht. Anstelle der gemachten Normkörper treten bei mir allerdings Alltage und Wirklichkeiten. Dabei stelle ich die Fragen, ob sich beide Forschungsrichtungen miteinander verbinden lassen, ob diese neue theoretische Perspektive bereichernd ist oder ob es doch unüberwindbare Grenzen gibt.

Alfred Schütz und das Problem der Verrücktheit ist mein Heranwagen, Ausprobieren und auf Grenzen stoßen. Ich werde in meinem Vortrag auf die Grundlagen der Wissenssoziologie und den Mad Studies eingehen, um mittels beider Forschungsrichtungen ein neues Verständnis von Psychosen vorstellen zu können. Ausdrücklich zu diesem Vortrag einladen möchte ich auch Menschen, für die die Mad Studies, die Wissenssoziologie oder soziologisches Denken im Allgemeinen neue Welten – oder Subuniversen – sind.

Krankheit, Gesundheit und Behinderung - Zwischen diesen Eckpfeilern bewegen sich meine Forschungen. Manchmal geht es dabei auch um Dinge wie Geschlecht oder Klasse. Manchmal wird es historisch, momentan ist es eher gegenwärtig. Als Kulturwissenschaftlerin arbeite ich dabei gerne jenseits von Disziplinen mit ihrem Kanon an Theorie und Methode. Das Erschaffen von neuen Perspektiven und das Verknüpfen von unterschiedlichen Theorien ist mein Weg um Antworten zu finden. Ich hoffe, eines Tages mal sagen zu können welche gesellschaftlichen Prozesse Gesundheit entstehen lassen, welchem Schönheitsbild körperbehinderte Frauen folgen oder warum ein "healthy bodied passing" häufig einen Kampf um Anerkennung mit sich bringt.