Diltheys Begründung der Geisteswissenschaften auf einer Philosophie des Lebens
21.09, 10:15–11:00 (Europe/Berlin), GD 03/150

Betrachtungen zum Lebensbegriff, seiner Aktualität und Potentialität für eine interdisziplinäre Wissenschaft.


Matthias Jung schreibt in seiner Neuauflage (2014) zur Dilthey–Einführung, dass es „an der Zeit wäre, Dilthey aus den Schubladen herauszuholen, in die er in den ersten zwei Dritteln des zwanzigsten Jahrhunderts hineingesteckt wurde, [um] sich mit ihm kritisch, das heißt auf Augenhöhe der für uns aktuellen Fragestellungen auseinanderzusetzen, weil dies eine lohnenswerte Arbeit darstellen würde.“ Der Vortrag soll im Hinblick auf das Kongressthema ausgehend von Dilthey einen systematischen Blick auf den Lebensbegriff werfen, sowie den philosophischen Hintergrund thematisieren, welcher für die methodologische und erkenntnistheoretische Begründung der Geisteswissenschaften und ihrer gleichzeitigen Emanzipation zu den Naturwissenschaften entschieden wichtig war. Bezogen auf den Kongresstitel „Grenzenlos Leben?! Interdisziplinär denken“, soll der Fokus des Vortrags auf dem Lebensbegriff liegen, verbunden mit der Frage nach den Potentialen für eine interdisziplinäre Wissenschaft.

Dabei soll geschaut werden, inwiefern eine bestimmte (Denk–) Haltung für eine Verständigung innerhalb der Wissenschaften notwendig ist und wie damit auch disziplinäre Grenzen abgebaut, aber auch der eigene Horizont nicht nur erweitert, sondern auch bereichert werden kann. Der Blick auf das Leben soll von der Philosophie des Lebens her erfolgen, worin Dilthey einen wissenschaftlich–systematischen Lebensbegriff konzipiert, der in seiner bestimmt unbestimmten Definition eine große Weite des Denkens anbietet, die grenzenlos scheint und daher einiges ermöglicht. Der Begriff des Lebens bei Dilthey verbindet, verknüpft und bringt viele verschiedene Dinge zusammen, statt sich an Grenzen abzuarbeiten, die nicht per se da sein müssen, weil das Leben sich eigentlich nicht zerstückeln lässt. Die Möglichkeiten seines Lebensbegriffs, sowie sein Verständnis von der Geisteswissenschaft sollen von einer gegenwartsbezogenen wissenschaftlichen Praxis her verstanden werden, in der Interdisziplinarität an den Universitäten eine Forderung darstellt, die mittlerweile in keinem Projektantrag mehr fehlen darf. Was aber damit gemeint wird, wie wir dahin kommen und auch wie Interdisziplinarität gedacht wird, sowie welche Rolle überhaupt der Forscher oder die Forscherin dabei einnehmen, sollen zentrale Gegenstände der Betrachtung sein. Ein zentraler Gedanke bei Dilthey ist, dass das Denken nicht hinter das Leben gehen kann. Für eine interdisziplinäre Praxis ist daher eine Verständigung auf die Wissenschaft im Allgemeinen wichtig, die nicht im luft–leeren Raum stattfindet, sondern sich mit konkreten Inhalten des Lebens beschäftigt. Was aber kann eine Einzelwissenschaft allein leisten? Warum ist Interdisziplinarität sinnvoll und erstrebenswert, was erreichen wir damit und wie hängt das mit dem Leben zusammen? Welche Bereitschaft müssen wir zeigen, um diesen Anspruch nicht nur zu stellen, sondern auch gerecht zu werden? Wie lässt sich insgesamt voneinander lernen und ein gemeinsam geteilter Sinn für ein gemeinschaftliches Arbeiten entwickeln? Welche Rolle spielt dabei die Freiheit und wie hängt das Ganze eigentlich mit Bewusstsein und Denken zusammen?

Literatur

  • Albert, Karl (1995): Lebensphilosophie – Von den Anfängen bei Nietzsche bis zu ihrer Kritik bei Lukács, Karl Albert, Freiburg (Breisgau); München: Alber, Kolleg Philosophie, 1995.
  • Bollnow, Otto Friedrich (1967): Dilthey – Eine Einführung in seine Philosophie, 3. Auflage, W. Kohlkammer Verlag, Stuttgart/Berlin/Köln/Mainz.
  • Dilthey, Wilhelm (1958): Gesammelte Schriften – Der Aufbau der geschichtlichen Welt in den Geisteswissenschaften, VII. Band, 2. unveränderte Aufl., B.G. Teubner Verlagsgesellschaft, Stuttgart (S. 130-152; 205- 220).
  • Dilthey, Wilhelm (2008): Das Wesen der Philosophie – Neugesetzte Ausgabe für Matrix Verlag GmbH, Wiesbaden 2008, nach der Ausgabe Leipzig, 1924.
  • Elm.R., Köchy K., Meyer M. (Hg.) (1999): Hermeneutik des Lebens – Potenziale des Lebensbegriffs in der Krise der Moderne, Alber-Reihe Philosophie, Freiburg (Breisgau); München: Alber, 1999, (S.100-117).
  • Fellmann, Ferdinand (1993): Lebensphilosophie – Elemente einer Theorie der Selbsterfahrung, Originalsaugabe, Rowohlt Taschenbuch Verlag GmbH, Reinbek bei Hamburg, März 1993, (S. 108-124).
  • Jung, Matthias (2014): Wilhelm Dilthey zur Einführung, 2. vollständig überarbeitete Auflage 2014, Junius Verlag GmbH, 1996.
  • Krüger, Annika (2007): Verstehen als Geschehen – Wissenschaftliche Zuständigkeitsbegrenzung und hermeneutische Erkenntnisweise – Wilhelm Diltheys und Hans-Georg Gadamers Versuch einer geisteswissenschaftlichen Emanzipation, 1. Auflage, Wehrhahn Verlag, Hannover-Laatzen, 2007.
  • Lessing, Hans-Ulrich (2011): Wilhelm Dilthey – Eine Einführung/UTB- Böhlau Verlag GmbH & Cie, Köln, Weimar, Wien, 2011.
  • Müller, Ernst/ Schmieder, Falko (2016): Begriffsgeschichte und historische Semantik – Ein Kompendium, 1. Auflage, Suhrkamp Verlag, Berlin, 2016.
  • Rodi, Frithjof (2016): Diltheys Philosophie des Lebenszusammenhangs, Originalausgabe, Verlag Karl Alber, Freiburg/München, 2016.
  • Rodi, Frithjof (2003): Das strukturierte Ganze – Studien zum Werk von Wilhelm Dilthey, 1. Auflage, Vellbrück Wissenschaft, Weilerswist, 2003.
  • Straub, Jürgen (1999): Verstehen, Kritik, Anerkennung – Das Eigene und das Fremde in der Erkenntnisbildung interpretativer Wissenschaften, Essener Kulturwissenschaftliche Vorträge, Band 4, Wallstein Verlag, 1999.
  • Straub, Jürgen (1999): Handlung, Interpretation, Kritik – Grundzüge einer textwissenschaftlichen Handlungs- und Kulturpsychologie/Berlin; New York: de Gruyter, 1999.
  • Straub, Jürgen (2011): Interdisziplinarität Positionen und Perspektiven in der Fakultät für Sozialwissenschaft der Ruhr-Universität Bochum – Diskussionspapier aus der Fakultät für Sozialwissenschaft 11-1, Ruhr-Universität Bochum, 2011.

Ich bin ein lebender Organismus und bin raum-zeitlich fixiert, zugleich aber auch mobil, in körperlicher, wie auch geistiger Hinsicht. Sicher manchmal mehr und manchmal weniger, aber immer gleichermaßen am und im Leben, solange ich raum-zeitlich existiere und der Organismus, den ich als meinen Körper bezeichne, noch atmet.

Diese(r) Vortragende hält außerdem: