Grundrecht auf Energie
07.10, 14:00–14:30 (Europe/Berlin), Ostasien

Die Regierungskoalition sollte Energie als begrenzt verfügbares gesellschaftliches Gut zukünftig von Grund auf neu bewerten und dabei mehr Fortschritt wagen: mit einem Sockelbetrag an kostenfreier Energie, einer „Bürgerenergie“, und mit der Besteuerung eines erhöhten Endenergieverbrauchs. Die Werkzeuge dazu sind eine gesetzliche Energieerklärung und das Lenkungsinstrument Energieverbrauchssteuer.


Energie ist die harte Währung unseres Daseins. Wir nehmen ihr Vorhandensein bislang so selbstverständlich als gegeben hin wie das Wasser aus dem Wasserhahn. Aber Wasser bleibt Wasser, Energie dagegen ist uns in sehr unterschiedlicher Gestalt zu Diensten und zudem ein flüchtiges Gut. Wir verbrauchen Energie als Grundlage unseres Lebens. Haben in der Vergangenheit mehr die Kosten der Energie als ihre Verfügbarkeit eine Rolle gespielt, so hat sich dies geändert. Unsere Energiequellen sind in einem Umbruch epochalen Ausmaßes begriffen und obendrein ist Energie durch den kriegsbedingten Ausfall eines Hauptlieferanten Mangelware geworden. Wir erleben derzeit die einigermaßen groteske Situation, dass die Bundesregierung sich mit enormen Anstrengungen politischer und wirtschaftlicher Art um Schadensbegrenzung bemüht, aber die mit rund 28 % am gesamten Endenergieverbrauch unseres Landes beteiligten privaten Haushalte allenfalls mit Appellen zu sparsamerem Verbrauch behelligt werden.
Der individuelle Energieverbrauch hat jedoch nicht nur durch die aktuellen politischen Umstände, sondern auch durch die dauerhafte Forderung nach klimaneutraler Energieerzeugung eine zentrale gesellschaftliche und wirtschaftliche Stellung erlangt.
• Die Regierungskoalition sollte Energie als begrenzt verfügbares gesellschaftliches Gut zukünftig von Grund auf neu bewerten und dabei mehr Fortschritt wagen: mit einem Sockelbetrag an kostenfreier Energie, einer „Bürgerenergie“, und mit der Besteuerung eines erhöhten Endenergie¬verbrauchs. Die Werkzeuge dazu sind eine gesetzliche Energieerklärung und das Lenkungs¬instrument Energieverbrauchssteuer.
Individueller Energieverbrauch muss zukünftig der Ermittlung und Besteuerung von Geldeinkommen gleichgestellt sein. Eine progressive Besteuerung erhöhten Verbrauchs ergibt sich aus den beiden Erfordernissen, sowohl sparen als auch die beschaffte Energie auf nationaler Ebene finanzieren zu müssen. Eigeninitiative und Sparsamkeit müssen belohnt und dürfen nicht besteuert werden.
Ein Bericht von 2022 in der SZ zum individuellen Energieverbrauch mit dem Titel „Wenn die Reichen sparen würden“ beleuchtet das enorme Sparpotenzial. Das individuelle Recht auf Energie und die andere Seite der gleichen Münze, Steuern für erhöhten Energieverbrauch, gibt es bislang nicht als staatlich organisierte Daseinsvorsorge. Mit der Bürgerenergie stellt der Staat eine kostenlose Grundversorgung mit Energie sicher, weil Energie eine existenzielle Notwendigkeit darstellt, für die von den meisten Bürgerinnen und Bürgern individuell keine Vorsorge getroffen werden kann. Gäbe es zukünftig das Grundrecht auf Energie, dann wäre es ein substanzieller Beitrag zum sozialen Frieden und zu politischer Stabilität in unserem Land. Es ist auch der Weg in eine Zukunft, in der Energie als kostbares Gut auf nationaler Ebene gerecht verteilt wird.
Das inzwischen zu beachtlicher Funktionalität gelangte Steuerportal Elster ist eine gute Vorlage, nach der in analoger Weise auch eine Energieerklärung gesetzlich verlangt und amtlich festgestellt werden kann. Komponenten darin, wie z.B. die Feststellungsbeteiligten, zeigen den Weg zum Haushalts- oder Gemeinschaftsverbrauch auf. Freigrenzen beschränken den Verwaltungsaufwand. Der erste Schritt ist die Einführung und Organisation einer gesetzlich vorgeschriebenen Energieerklärung ähnlich der Steuererklärung; ein wegen seiner Verbindlichkeit für alle Individuen gerechter Weg.
Anders als beim Handel mit Aktien und Geldmengen unterliegt Energie als Verbrauchsgut keinerlei Volatilität, wie wir sie von den Finanzmärkten kennen. Die Bürgerenergie, der tägliche Mindestbedarf an Energie, ist in ihrer Höhe eine auszuhandelnde Größe, aber liegt dieser Bedarf einmal fest, dann bedeutet er eine zuverlässige Menge an Wärme und Licht. Das Grundrecht auf Energie bedeutet, dass unser Staat allen Bürgerinnen und Bürgern diesen täglichen Sockel an Energie gewährleistet. Diese Energie kann als Gas, als flüssiger oder fester Brennstoff, als Fernwärme oder als elektrische Energie geliefert werden.
Ist die Lösung tatsächlich so einfach, wie sie hier skizziert wird? Aus physikalisch-technischer Sicht ist sie das in der Tat, aber der politische Wille zu dieser Lösung muss sich noch formieren. Die genannten Energiequellen lassen sich hinsichtlich ihres Energieinhalts nämlich ineinander umrechnen und für alle Energieträger wird die zugeteilte Energie mit der gleichen physikalischen Größe gemessen. Eine auf diesen Grundlagen beschlossene Energiemenge je Person und Jahr ist die zuvor genannte Bürgerenergie. Die administrative Umsetzung wäre vielleicht vergleichbar mit dem Aufwand für Lohn- und Einkommensteuer, nur dass sie alle Individuen betrifft. Niemand soll im Winter frieren oder im Dunkeln sitzen müssen. Das ist die Idee der Bürgerenergie.
Der Vortrag geht im Fall der Annahme ein auf weitere Details der physikalisch-technischen Seite wie auf Fragen der praktischen Umsetzung.

Dr. Wolfgang Send, Jahrgang 1944, Physiker. Promotion Hamburg 1976 in theoretischer Gasdynamik. Von 1976 bis 2009 Wissenschaftler beim Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt in Göttingen. Von 1985 bis 2003 Vorlesungen zur Aerodynamik des Tierflugs. 1983 Mitbegründer der Friedensinitiative „Mainzer 23“. Autor zu friedenspolitischen Themen in den 1980er Jahren. 1996 Gründer der Firma ANIPROP GbR, die Geräte zur Physik des Fliegens baut. Seit 2009 Beratertätigkeit für die private Wirtschaft.