Zivilgesellschaft und die UN - Perspektiven zum multilateralen Dialog
07.10, 12:00–13:00 (Europe/Berlin), Zentralasien

Seit über 75. Jahren bietet das UN-System ein Forum zur multilateralen Konfliktregelung und hat wichtige Erfolge erzielt: etwa bei Abkommen zur Rüstungsbeschränkung, Einsätzen zur Friedenssicherung und Nothilfe. Doch auch nicht-staatliche Akteure spielen eine bedeutende Rolle in der Ausgestaltung des UN-Systems. Wie sehen wirksame Ansatzpunkte für zivilgesellschaftliches, friedenspolitisches Engagement mit Bezug zum Völkerrecht aus?


Seit über 75. Jahren bietet das UN-System ein Forum zur multilateralen Konfliktregelung und hat wichtige Erfolge erzielt: etwa bei Abkommen zur Rüstungsbeschränkung, Einsätzen zur Friedenssicherung und Nothilfe. Dennoch wird die UNO auch häufig kritisiert, etwa für Blockaden bei Verhandlungen, Prioritätensetzung ihrer Programme und ihre eingeschränkten Möglichkeiten Völkerrechtsbruch zu sanktionieren. Angesichts der globaler Herausforderungen und starker geopolitischen Polarisierungen wird gar gefragt, ob das UN-System scheitert oder obsolet ist.
Allerdings sind es die derzeit 193 Mitgliedsstaaten, die der UNO ihre Bedeutung und Durchsetzungskraft verleihen. Doch auch nicht-staatliche Akteure spielen eine bedeutende Rolle in der Ausgestaltung des UN-Systems. Abgesehen vom stark gewachsenen Einfluss privater Konzerne, bringen insbesondere im Menschenrechtsrat Nicht-Regierungsorganisationen, ihre zivilgesellschaftlichen Anliegen ein. Darüberhinaus beziehen sich auch Initiativen und Proteste auf multilaterale Abkommen, wie etwa zum Freihandel oder Atomwaffensperrvertrag.
Das Völkerrecht oder etwa auch die Formulierung der Sustainable Development Goals bietet also durchaus einen Referenzrahmen für zivilgesellschaftliches Engagement – doch wie verzahnt sind lokales Handeln und internationale Governance tatsächlich? Findet lokales Wissen effektiv Eingang in multilaterale Foren und werden internationale Zusammenhänge auch im lokalen Aktivismus diskutiert? Wie sehen wirksame Ansatzpunkte für zivilgesellschaftliches, friedenspolitisches Engagement mit Bezug zum Völkerrecht aus?
Da es gerade in Zeiten geopolitischer Polarisierung wichtig erscheint, dass Zivilgesellschaft über Landesgrenzen hinweg in Dialog bleibt, widmet sich das Panel diesen und weiteren Fragen mit Beiträgen von:

Andreas Zumach: Zivilgesellschaft und die UN - Hintergrund und Rahmenbedingungen

Die wichtigsten internationalen Abkommen seit Ende des Kalten Krieges kamen nur zu Stande durch starkes Engagement globaler Koalitionen von Nichtregierungsorganisationen (NRO) innerhalb wie außerhalb der UNO. Das gilt für die Klimaverträge von Kyoto und Paris, die Schaffung des Internationalen Strafgerichtshofes, sowie für die Abkommen zum Verbot und zu Ächtung von Atomwaffen, von Streumunition und Anti-Personenminen. In Reaktion auf diese Erfolge versuchen immer mehr Staaten (z.B. China, Pakistan, Saudiarabien u.a.), die Partizipationsrechte und Einflußmöglichkeiten von NRO bei multilateralen Verhandlungen innerhalb und außerhalb des UNO-System einzuschränken. Wie lassen sich diese Rechte und Möglichkeiten schützen und ausweiten bis hin zur Ebene des UN-Sicherheitsrates? Und welches Verhältnis besteht zwischen dem Engagement von NRO auf internationaler Bühne und der Lobby-Arbeit gegenüber Regierung, Parlament und Öffentlichkeit im eigenen Land?

Maria Hartmann: Über Weltgerichtbarkeit hinaus – die Aufarbeitung des Syrienkonflikt als globaler Einschnitt

Der Konflikt in Syrien gilt als eine der schlimmsten Krisen seit dem Zweiten Weltkrieg. Mit über einer halben Millionen Toten, über 13 Millionen Geflüchteten und hunderttausend gewaltsam Verschwundenen sind seine zivilen Opfer enorm. Dies ist nicht zuletzt auf das systematische Scheitern internationaler Hilfe für die syrische Zivilgesellschaft und die Paralysierung der UN-Institutionen zurückzuführen. Zudem stagniert der Konflikt durch die ungehinderte Re-Etablierung des Regimes Al-Assad, was eine Aufarbeitung und Ende der Straflosigkeit gegenüber begangener Kriegsverbrechen verunmöglicht. Doch was mit der Verurteilung zweier syrischer Kriegsverbrecher im Rahmen der Koblenz-Prozesse 2022 von deutschen Medien als Hoffnungsschimmer in Richtung Weltgerichtsbarkeit gefeiert wird, stößt seitens syrischer Diaspora auf Skepsis: Statt der Verurteilung kleiner Fische bräuchte es eine Neuausrichtung der internationalen (Syrien-)Politik. In meinem Beitrag werfe ich einen umfassenderen Blick auf die Dynamiken der letzten Jahre und frage, was wir aus dem Syrienkonflikt über den Zustand unserer internationalen Gemeinschaft und ihrer Institutionen lernen können.

Einführung und Moderation: Susanne Schmelter

Ich bin wissenschaftliche Mitarbeiterin am Zentrum für Konfliktforschung in Marburg und promoviere zu Dissidenz, Menschenrechtsbewegungen und Erinnerungskultur in der Migrationsgesellschaft. Dabei habe ich einen besonderen Fokus auf den Syrienkonflikt und die emanzipatorischen Bewegungen des letzten Jahrzehnts in Westasien/Nordafrika, zu welchen ich auch neben dem forschenden Arbeiten solidaritätspolitisch involviert bin.